Juni 2024

Clean-Core-Strategie für Öl

E3, das führende SAP-Community Magazin im deutschsprachigen Raum, interviewt Rolf Adam, Group CEO von Implico.

E3: Die SAP-Welt ist im fortlaufenden Umbruch, SAP-Chef Christian Klein reorganisiert sein Unternehmen, die S/4-Conversion stottert und laut Anwenderverein DSAG schrumpft die Relevanz von SAP. Was bedeutet diese Entwicklung für eine SAP-Industrielösung wie Oil und Gas?

Rolf Adam: Für die Öl & Gas Industrie, in der wir seit fast vierzig Jahren zuhause sind, kann ich eine Abkehr von SAP nicht beobachten. Im Gegenteil, aufgrund der Komplexität und Größe der Öl- und Gasunternehmen gibt es für die heutigen SAP-Nutzer keine Alternative. Die Majors der Branche setzen seit Jahrzehnten auf SAP, haben hier Know-how und Expertise aufgebaut und viel Eigenentwicklung betrieben. Schon aus wirtschaftlichen Überlegungen macht es für diese Adressen keinen Sinn, von SAP Abstand zu nehmen.

Der SAP-Ansatz „Clean Core” mit S/4HANA und die damit einhergehende Zukunftssicherheit resonieren sehr gut bei einer Industrie, die tagtäglich ihre Relevanz in der Zukunft rechtfertigen muss. Man sucht Lösungen, welche die Transformation der eigenen Industrie von konventionellen Energieträgern hin zu Erneuerbaren wie etwa SAF (Sustainable Aviation Fuel) unterstützt. Mit Blick auf die IT bedeutet dieser Wandel, dass zukunftsfähige Standardlösungen komplexe Eigenentwicklungen ablösen müssen. Genau hierin liegt die Stärke von SAP, unterstützt durch Implico in unseren Segmenten.

E3: Implico hat eine Softwarelösung, die auf die Industrielösung Oil und Gas aufsetzt, und damit auf S/4HANA. Sind Sie als SAP-Partner mit der Qualität des SAP-Angebots zufrieden?

Rolf Adam: IS-Oil wird auch weiterhin ein elementarer Baustein unserer SAP-Industrielösungen sein und bleiben, zumal IS-Oil downstream aufgrund der Komplexität der Prozesse absehbar nicht in die public cloud verlagert werden wird.

Wir sind im Tagesgeschäft und insbesondere bei der langfristigen Produkt-Roadmap eng mit der SAP abgestimmt. Dank SAP sind wir mit unseren Industrielösungen SDM und RFNO marktführend und setzen den Industriestandard im Downstream Geschäft. Von dieser engen technologischen und vertrieblichen Abstimmung profitieren unsere Kunden ebenso wie wir selbst.

E3: Wie sehen Sie die Partnerbetreuung durch SAP? Macht SAP genug für die Partner und letztendlich für die SAP-Bestandskunden?

Rolf Adam: Wir arbeiten sehr eng mit der SAP-Produkt-, Service, und -Vertriebsorganisationzusammen, um größtmöglichen Nutzen für unsere Kunden zu gewährleisten. Über alle Ebenen hinweg ist die Beziehung profund. Natürlich vollzieht sich auf beiden Seiten immer wieder ein organisatorischer Wechsel. Aber wir haben über die Jahre hinweg eine solide Beziehung aufgebaut, die auch Herausforderungen wie die jüngsten personellen Veränderungen gut überstehen lässt.

So haben wir gemeinsam mit der SAP gerade in den letzten 12 Monaten die Präsenz im Markt massiv ausgebaut. Wir arbeiten an der Realisierung großer Projekte auf globaler Ebene zusammen, nicht nur im Oil & Gas Sektor, sondern auch im Bereich erneuerbarer Energieträger. Ein gemeinsames Projekt zum Aufbau eines Wasserstoff-Tankstellennetzes für einen Kunden setzen wir gerade mit der SAP in Kalifornien um, bzw. arbeiten daran. Für ein mittelständisches Unternehmen wie unseres ist eine solche Beziehung mit einem globalen Marktführer wie der SAP durch nichts zu überbieten.

E3: Viele europäische SAP-Bestandskunden meiden den Weg in die Cloud nicht nur aus technischen Gründen, sondern auch aufgrund von lizenzrechtlichen Überlegungen? Das Thema Cloud-Lizenzen, also Full Usage Equivalent, betrifft es auch ihr Geschäft?

Rolf Adam: Als Solution Extension Partner wird die Public Cloud für uns und unsere Kunden erst dann ein Thema, wenn SAP entscheidet, die für uns relevante Industrielösung IS Oil&Gas in die Cloud zu transferiert.

Derzeit ist in unserer Branche noch die Private Cloud der präferierte Weg. Hier haben wir eine Subscription für den vollen Funktionsumfang und rechnen mit unseren Kunden nach Blocks ab. Darüber hinaus bieten wir unsere Add-on Produkte als Cloud Modelle an, z.B. auf der BTP.

E3: Ihre Lösung erscheint komplex, weil der Unterbau mit HANA, S/4, S4SCSD und IS-Oil-Downstream umfangreich erscheint. Geht es nicht einfacher?

Rolf Adam: Im Grunde ist es recht einfach und sehr schlüssig. Sie müssen sich das wie bei einem Hausbau vorstellen. Das Fundament bildet SAP S/4HANA mit seiner tiefen technischen und hoch professionellen Basis, um die Prozesse des Kunden abzubilden und diese nutzbar zu machen. Die Fassade bildet die entsprechende Branchenlösung, hier IS-Oil, als Framework. Auf diesem Framework setzen dann unsere spezifische Branchen- und Automatisierungslösungen, wie SAP SDM und RFNO, auf. Sie sind der Kern bzw. das Innenleben des Gebäudes und stellen den Wert für das Geschäft unserer Kunden dar.

Unser Ziel ist es dabei, die Standard-Prozesse durch unsere Module funktional zu erweitern und den Automatisierungsgrad für den Benutzer erheblich zu vereinfachen. Nehmen sie hier das Beispiel transaktionaler Buchungen, welche klassisch immer noch per Hand erfolgen, und die mittels unserer Module SDM und RFNO vollautomatisiert ablaufen.

E3: SAP hat die Industrielösung Healthcare abgekündigt. Wird mit Oil und Gas ähnliches passieren?

Rolf Adam: Wir haben keine Signale seitens der SAP dazu erhalten. Außerdem sind die beiden Lösungen schon aufgrund der stark unterschiedlich strukturierten Märkte nicht vergleichbar.

Es ist zwar richtig, dass die Nutzergruppe der IS Oil&Gas immer kleiner geworden ist. Aber IS Oil&Gas adressiert sehr große, weltweit operierende Unternehmen. Deren Bedarf an SAP-Lösungen, die sie bei der Automatisierung und Digitalisierung der Prozesse unterstützen, ist sehr hoch.

Außerdem sehen SAP und wir die Optimierung von Prozessen in der Öl- und Gasindustrie, vor allem die Transformation hin zu alternativen Brennstoffen, als zukunftsweisend.

E3: Sind SAP Rise und Grow eine Unterstützung für ihre Softwarelösung oder sind die SAP´schen Industrielösungen von diesen Programmen ausgenommen?

Rolf Adam: Im Rahmen der Business Transformation unserer Kunden in die Cloud konzentrieren wir uns auf die Prozessberatung und die Implementierung unserer dafür speziell entwickelten Module. Unsere aktuellen Offerings im Bereich SAP Quality Assurance zahlen genau auf diese Herangehensweise ein, indem wir den verschiedenen Akteuren bei dem Transformationsprozess individuell auf sie abgestimmte Unterstützung anbieten.

Als SAP Solution Partner unterstützen wir dabei die von SAP zur Verfügung gestellten Methodiken wie Activate und Programme wie Rise oder auch Elemente daraus, soweit diese im Projekt vom und für den Kunden anwendbar sind. Somit stellt das o.g. Quality Assurance Programm eine Rise-konforme Ausgestaltung und Qualitätssicherung bei Implementierungsprojekten dar.

Richtig ist aber auch, dass die bisher von SAP in der Cloud zur Verfügung gestellten, vorgefertigten Prozesse, für die Öl- und Gasindustrie bislang kaum nutzbar sind und daher Rise noch große Lücken bei der Nutzung in unserer Branche aufweist.

E3: Zukünftig soll es zwei SAP-Systeme geben: HANA und S/4 mit einem „frozen core“ und die SAP Business Technology Platform als „Spielwiese“ für Modifikation und Add-ons. Ist die BTP ein Thema für Implico?

Rolf Adam: BTP ist ein wichtiges Thema für uns. Schließlich sind aufgrund der Clean Core Strategie von SAP sowohl eine zukunftsfähige Produktentwicklung als auch kundenindividuelle Anpassungen, nur auf der BTP möglich. Wir sind deswegen mit Kunden-Add-ons bereits auf der BTP präsent, beispielsweise mit Extensions für den Einsatz unseres SDM-Moduls in den USA.

Bei unserem Kunden Holy Frontieres Sinclair erfolgt die Massendatenverarbeitung in der BTP. Millionen von Datensätze von den Tankstellen, aus denen dann die Kreditkarten- und Pächterabrechnungen resultieren, verarbeiten wir in der BTP, weil es wesentlich skalierbarer ist und ansonsten zu Lasten der Performance gehen würde. Die fertigen RFNO-Belege spielen wir dann wieder zurück ins Core-System.

E3: Wie würden sie einem Kunden die BTP erklären?

Rolf Adam: Die BTP würde ich als cloudbasiertes SAP-nahes Framework bezeichnen, das technisch auf den Cloudlocations der Hyperscaler wie AWS, Microsoft Azure oder Google Cloud oder auf der SAP eigenen Cloud läuft. Sie macht Cloudtechnologien im Kontext SAP einfach nutzbar. Als externes Add-on ist sie tief in SAP integriert. Statt kundenspezifische Lösungen in der Core-Umgebung zu programmieren, bietet sie Entwicklern die Möglichkeit, diese in der Cloudumgebung zu entwickeln und damit die Potentiale der Cloud für SAP-Produkte zu nutzen.

Kurz gesagt: Die BTP macht SAP-Funktionalitäten mit Cloud-Funktionalitäten kombinierbar. Sie stellt vor allem Kunden technologische Möglichkeiten zur Verfügung, die sie aus Kosten- und Know-how Gründen sicherlich nicht in ihrer On-Premise Umgebung betreiben oder aufsetzen könnten.

Wenn ich zukunftsfähig und kompatibel mit der SAP Clean Core-Strategie sein möchte, muss ich meine bestehenden Lösungen, die heute im Core customised sind, außerhalb des Cores positionieren. Und bei SAP ist die BTP der Weg dazu.

Darüber hinaus stellt die BTP KI-Technologien bereit, die von den Partnern bei der Entwicklung von Add-ons genutzt werden können und somit unmittelbaren Nutzen für die Kunden erzielen.

E3: Haben Sie Pläne auf und für die BTP?

Rolf Adam: Wir sind, wie das genannte Beispiel der Massendatenverarbeitung für einen Kunden zeigt, mit kundenspezifischen Lösungen für unsere beiden Module SDM und RFNO gestartet. Künftig werden wir die BTP-Plattform auch für unsere Produktentwicklung einsetzen, indem wir Zusatzfunktionalitäten, die unter einem eigenen Business Modell liegen, als BTP Add-ons bereitstellen.

Aktuell arbeiten wir am „Add TCO“, das eine Automatisierung und Optimierung der Logistiksteuerung im Rahmen des SDM Moduls bietet. Für uns und für unsere Kunden liegt der große Vorteil einer BTP-Lösung dabei darin, dass wir im Vergleich zu einer S4 Kern-Lösung, wo wir immer von SAP-Releases abhängig sind, eine continuous delivery anbieten und damit Innovationen viel häufiger zur Verfügung stellen können. Gleiches gilt übrigens auch für SAP, die S4 Updates flexibler und schneller ausspielen kann.

E3: SAP ist in der IT-Welt nicht der einzige Plattformanbieter. Auch bei den Hyperscalern gibt es interessante Konzepte. Einige SAP-Partner weichen auf die Microsoft-Azure-Plattform aus. Wie sehen sie das Thema SAP und Microsoft?

Rolf Adam: Wir beobachten, dass die Entscheidung für SAP oder Microsoft (D365/PowerPlatform) getrieben wird über die Größe der Kunden und der Komplexität des Geschäfts. Während SAP für große Enterprise Kunden, wie eingangs erwähnt, alternativlos ist, nutzen viele Mittelständler die anstehende Cloud Migration für eine Neubewertung der Plattformentscheidung. Dabei fällt im Mittelstand gerade im Bereich der Supply Chain die Wahl oftmals auf Microsoft.

So ist auch unser Geschäft aufgebaut. Unsere Lösungen SDM und RFNO für Logistik und Tankstellenbetrieb richten sich primär an Enterprise Kunden, die SAP im Einsatz haben. Dahingegen sehen wir im Terminal Management Geschäft einen Trend in Richtung der Microsoft Lösungen für die Supply Chain. Hyperscaler, sei AWS oder Azure, sehen wir dabei eher als Diskussionspunkt im Kontext Infrastruktur, nicht aber im Bereich Business Apps.

E3: Eine mögliche Zukunft: Das Rechnungswesen bei SAP und die innovativen Erweiterungen und Modifikationen auf Azure, oder?

Das ist durchaus ein mögliches Szenario, gerade bei Mittelständlern, die das Rechnungswesen heute auf SAP haben. Konzerne werden aber weiterhin die Vorteile der integrierten Plattform SAP schätzen und nutzen.

E3: Danke für das Gespräch.

© https://e3mag.com/de/clean-core-strategie-fuer-oel/

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